Kammergericht Berlin, Urteil vom 11.10.2016 – 5 U 139/15 – „Gezielte Gehörsvereitelung“ –
Der Antragsteller beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen eines Wettbewerbsverstoßes sowohl beim Landgericht Hamburg als auch beim Landgericht Berlin. Nachdem das Landgericht Hamburg wohl mit einem (durchaus üblichen) telefonischen Hinweis die Auffassung geäußert hatte, dem Antrag nicht stattgeben zu können, zog der Antragsteller seinen Antrag zurück, verfolgte beim Landgericht Berlin aber seine Ansprüche weiter, ohne dass das Landgericht Berlin noch der Antragsgegner Kenntnis davon hatten, dass bereits das Landgericht Hamburg die Ansprüche geprüft und verneint hatte. Das Landgericht Berlin, welches die einstweilige Verfügung zunächst erlassen hatte, hob diese daraufhin wieder auf. Auf die Berufung des Antragstellers hin bestätigte das Kammergericht Berlin die Aufhebung.
Die verfahrensmäßige Besonderheit bei Wettbewerbsverstößen und häufig auch Markenverletzungen liegt darin, dass aufgrund der deutschlandweiten Verletzung ein sog. fliegender Gerichtsstand existiert, d.h. der Antragsteller kann sich aussuchen, bei welchem (sachlich für Wettbewerbs- oder Markenangelegenheiten zuständigen) Gericht er Klage erhebt oder, innerhalb der Dringlichkeitsfrist, eine einstweilige Verfügung beantragt. In der Praxis problematisch und umstritten ist die Stellung mehrerer Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei unterschiedlichen Gerichten, insbesondere nachdem man bei einem Gericht keinen Erfolg hatte. Dabei gilt die Dringlichkeit in der Regel als widerlegt, wenn der Antragsteller einen in erster Instanz durch Beschluss zurückgewiesenen Eilantrag zurücknimmt, anstatt Rechtsmittel einzulegen, und denselben Eilantrag vor einem anderen Gericht neu stellt.
Nach wie vor uneinheitlich beurteilt wird die erneute Stellung des Eilantrages bei einem anderen Gericht, wenn der Antrag zuvor bei dem zuerst angerufenen Gericht nach einem bloßen (meist telefonischen) Hinweis des Gerichts, ohne formelle Zurückweisung, zurückgenommen wird. Hierdurch soll nach Auffassung einiger Gerichte noch nicht zwangsläufig die Dringlichkeitsvermutung entfallen.
Dies ist deshalb problematisch, weil der Antragsgegner von diesem Vorgehen in der Regel überhaupt keine Kenntnis erlangt, da er über die Rücknahme des Eilantrages beim ersten Gericht (meist) nicht informiert wird. Im vorliegenden Fall begründete das Gericht die Rechtsmissbräuchlichkeit dieses (als sogenanntes „Forum-Shopping“ bekannten) Vorgehens damit, dass der Antragsteller die vorangegangene Hamburger Verfahrenseinleitung und
-beendigung (zu seinen Lasten) sowohl dem Landgericht Berlin als auch der Antragsgegnerin verheimlicht hatte, wobei hier erschwerend hinzukam, dass der Antragsteller die Antragsgegnerin zuvor noch nicht einmal abgemahnt hatte.
Das Kammergericht beurteilte diesen Sachverhalt im Rahmen einer „Gesamtbetrachtung … als rechtsmissbräuchliches Forum-Shopping im Wege planmäßig-gezielter Gehörsvereitelung und unlauterer Chancenvermehrung“, welches das besondere Rechtsschutzbedürfnis an einer Eilentscheidung durch das zweite, chancenverdoppelnd angerufene Gericht aus Sicht des Kammergerichts Berlin entfallen ließ.